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Engel der Liebe


Ein Freund von mir sagt, er habe einen Engel getroffen und hätte diesen zu 100% geliebt. Mehr Liebe als zu diesem Engel, sagt er, sei nicht möglich. Was aber, wenn es doch möglich ist und wenn er vielleicht gar nicht den Engel an sich liebt, sondern das, wofür der Engel steht?
Wofür mag so ein Engel schon stehen, fragt sich der Leser nun vielleicht. Ein Engel… für Schutz vielleicht. Für Ruhe und Geborgenheit. Für das Gefühl angekommen zu sein oder für Frieden. Mit sich selbst. Vielleicht auch ein Stück für Ehrlichkeit und Treue. Für die Reinheit der Liebe.
Wenn nun ein Mensch sich in einen solchen Engel verliebt, der ihm dies alles gibt, sehnt er sich dann nicht genau danach? Sieht er dann nicht die Fehler, die er gemacht hat und die ihn vielleicht bisher dieses Glück gekostet oder verwehrt haben? Ist diese Liebe dann nicht ein Hilfeschrei aus Einsamkeit oder Kummer? Vielleicht zeigt diese Liebe aber auch nur den Wunsch, die Sehnsucht nach all dem, was dieser Engel versprechen könnte. Ohne wenn und aber. Vielleicht war der Engel aber auch nur per Zufall zur richtigen Zeit am richtigen Ort und hat gar nicht die Liebe auf sich gezogen, sondern war vielmehr ein Bild für das, was man liebt. Dann wäre der Engel gar nicht real, sondern nur eine Wunschvorstellung, die so gar nicht existiert. Vielleicht lehnt der Engel den Menschen deshalb ab, weil er ihm nicht geben kann, was er sucht und ihn nicht enttäuschen möchte. Vielleicht kennt der Mensch auch die wahre Geschichte des Engels gar nicht. Und soll sie nicht kennen. Wäre dann nicht alles wieder nur ein Trugbild, das vom Engel erzeugt den Menschen blendet?
Kann ein Mensch mehrere Engel treffen? Gibt es eine zweite Chance? Oder ist nach der ersten alles vorbei? Ist die erste eine „Lehrvorführung“, die dem Menschen das Gefühl von wahrer Liebe vermitteln soll, sei es zu dem Zweck, dass er es einmal gefühlt hat oder zu dem, dass er anfängt sich Gedanken über die Liebe zu machen und neue Hoffnung schöpft? Hoffnung, die er durch eigene Fehler aufgeben musste.
Aber was sind schon eigene Fehler? Und wer sagt überhaupt, was Fehler sind? Sind Fehler nicht nur Geschehnisse, Erfahrungen, die wir gemacht haben und die wir als falsch abstufen oder Handlungen, die wir lieber anders gemacht hätten? Warum sollten denn aber Erfahrungen falsch sein? Gehören sie nicht zu dem jeweiligen Menschen? Sind sie nicht das, was einen jeden Menschen individuell macht? Sind sie es nicht, die uns lehren in verschiedenen Situationen genauer hinzusehen und es beim nächsten Mal vielleicht „besser“ oder doch wenigstens anders zu machen? Sind sie also wirklich falsch? Sollte man sie besser aus dem Gedächtnis löschen können? Klingt ja erst mal ganz gut, alle negativen Erfahrungen löschen zu können. Was wären wir für glückliche Menschen! Aber damit gingen uns doch wieder Erfahrungen verloren! Erfahrungen, die uns beim nächsten Mal helfen könnten. Nur: Wer sagt uns, dass es ein nächstes Mal gibt?